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Aktuelles: 25. August 2025

Vom Sinn, über den Sinn nachzudenken!

In Europa herrscht immer noch Krieg. Der 24. Februar 2022 hat auch meinen persönlichen Alltag grundlegend verändert. Nach nun fünf Wochen im Angesicht dieser Grausamkeiten spüre ich nach wie vor Wut, Angst und Trauer – tagtäglich. Und genauso täglich aufs Neue stoppe ich, nehme mich selbst wahr und bewerte bewusst um, damit Gefühle von Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit und Resignation mich nicht in den Griff nehmen. Ich entscheide mich immer wieder gegen scheinbare Pflichten und für meine persönliche Wahl. Dafür nutze ich die positive Kraft meiner Grundgefühle und erlebe dadurch in den letzten Wochen auch tiefe Momente von Verbundenheit, Lebendigkeit, Menschlichkeit, Dankbarkeit, Demut und Sinnhaftigkeit.

 

Jede*r ist bedeutsam!

In einer Hauruck-Aktion gemeinsam mit Nachbarn, Eltern und Freund*innen haben wir eine leerstehende Wohnung bei uns im Haus hergerichtet. Am Sonnntag, den 6. März bekam ich das Go von unsererm Vermieter, abends schrieb ich die erste Rundmail und gegen 23 Uhr war schon fast eine komplette Wohnungseinrichtung zusammen!

Montag Vormittag erfuhr ich dann, dass unsere Nachbarin eine Frau aus der Ukraine kennt, die sich mit Kind und Schwiegermutter von Warschau auf den Weg zu uns machten. Montag um 15 Uhr kamen die ersten Helfer*innen und wir fingen an zu putzen und zu werkeln… ungefähr eine halbe Stunde später wurde klar, dass die Drei viel schneller unterwegs waren als gedacht und schon Dienstag in den Morgenstunden einen Zug nach Berlin nahmen. Mir rutschte ziemlich das Herz in die Hose und es machte sich kurz die Sorge breit, dass das nie zu schaffen sei in so kurzer Zeit und was für eine große Verantwortung ich mir völlig unüberlegt aufgehalst hatte. Doch ich gab diesen sinnlosen Gedanken keinen Raum in meinem Kopf, sondern mobilisierte für den Montag einfach nochmal mehr Menschen… während andere einfach unangemeldet dazu kamen als hätten sie den Zeitdruck geahnt. Dienstag und Mittwoch ging es dann genauso weiter… selbst Bekannte von Bekannten, die ich noch nie gesehen hatte, kamen und halfen mit, so dass wir dann Mittwoch gegen Mitternacht tatsächlich fertig waren - unglaublich! Und am Donnerstag Mittag - am 10. März 2022 - zogen dann eine Mutter mit Sohn und Schwiegermutter bei uns ein.

 

Es ist so wichtig, immer wieder die eigene Perspektive zu wechseln!

Es waren sehr berührende Tage… die große Dankbarkeit all der helfenden Menschen, die durch meine „Einladung“ für kurze Zeit aus der eigenen „Kriegs-Ohnmacht“ heraustreten konnten. Konkret wirksam sein zu können tat allen so gut… auch die Kinder packten  fleißig mit an. Dann das Ankommen und erste Kennenlernen unserer drei ukrainischen Gäste… nicht nur, dass der Kleine just am Tag der Ankunft Geburtstag hatte und 2 Jahre alt wurde… auch der Satz der Schwiegermutter als sie die zwei Betten sah und dachte, dass noch mehr Geflüchtete kämen. Sie konnte zunächst garnicht glauben, dass die ganze Wohnung (1 Zimmer, Küche und Bad) nur für die Drei alleine sei.

 

Was tut dir gut - im Angesicht dieses Krieges und der vielen, globalen Krisen?

Meine Stimme auf Demonstrationen zu erheben, tut mir gut. Meiner ukrainischen Freundin, deren Eltern noch in der Ukraine sind, Beistand zu leisten, tut mir gut. Mir auch im beruflichen Kontext ein Herz zu fassen und für den Frieden zu stoppen, tut mir gut. Menschen mobilisiert zu haben, um gemeinsam Wohnraum für Geflüchtete herzurichten, tat mir gut. Andere zu ermutigen, selbst Raum zur Verfügung zu stellen, tut mir gut. Unsere ukrainischen Gäste mit alltäglichen Gesten konkret zu unterstützen, tut mir gut. Und es tut mir auch gut, nicht müde zu werden, mich selbst daran zu erinnern, was meine ukrainische Freundin am 12. März bei einem Benefizkonzert des Beethovenorchesters im Bonner Münster u.a. in ihrer Rede sagte: „Ich habe Angst, dass wir uns auch an diesen Krieg gewöhnen werden.... Es ist keine Zeit für Angst, sondern für Mut.“

 

Sinn hält gesund und macht zufrieden!

Nach diesen für mich sehr aktiven Wochen bin ich noch immer zutiefst berührt von der Erfahrung, was Menschen in kürzester Zeit gemeinsam erschaffen können, wenn Sinn und Menschlichkeit sie verbinden. Genau das macht mich hoffnungsfroh – immer noch auch im Hinblick auf die für mich persönlich drängendste, globale Frage der Klimakatastrophe.

 

In den letzten Tagen nun bin ich still geworden und bewege einmal mehr in mir die Frage nach dem Sinn... schon lange weiß ich, wie sehr es Sinn macht, immer wieder über den Sinn im eigenen Leben nachzudenken.

  • Sinn ist einer der stärksten Motivationsfaktoren für menschliches Handeln und mit der wichtigste Gesundheitsfaktor überhaupt.
  • Je älter wir werden, umso wichtiger wird es, Sinn „neu“ zu definieren, den eigenen roten Faden zu spinnen und unseren ureigenen Beitrag für das Gesamte zu finden.
  • Im Angesicht persönlicher, gesellschaftlicher und globaler Krisen rückt diese Frage für viele Menschen – ganz gleich in welcher Lebensphase – immer stärker in den Vordergrund.

 

Deshalb habe ich mir Zeit genommen, Spuren großer „Peacemaker“ in meinem eigenen Leben Aufmerksamkeit zu schenken... Nelson Mandela, Mahatma Ghandi, Anne Frank, Dalai Lama, Martin Luther King, Albert Schweitzer... meinen persönlichen roten Faden weiterzuspinnen und zu reflektieren, was diese mutigen Menschen mich mitten in meinem Alltag gelehrt haben und weiter lehren können. Ich bin neugierig, wohin mich diese "Erinnerungsreise" führen wird...

 

Heute Nachmittag dann erfuhr ich von einer ganz anderen "Reise": Die Eltern meiner Freundin - Großeltern einer der besten Freundinnen meiner Tochter - konnten sich doch noch aus dem Süden der Urkraine mutig auf die Flucht begeben. Aktuell sitzen sie in einem Bus in Richtung Warschau, wo sie - wenn alles gut geht - morgen Mittag ankommen werden. Ich hoffe sehr, dass ihr Mut belohnt wird und es doch noch ein kleines, individuelles "Happy End" in meinem persönlichen Umfeld im Angesicht dieses unermeßlichen Leides geben wird!

 

Eure

Carmen Nitka

 

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Hier noch zwei Hör-Empfehlungen in diesen herausfordernden Zeiten:

 

Rutger Bregmann (2020): Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit.

Anfang des Jahres konnte ich kaum aufhören, diesem flammenden und inspirierenden Wachrüttler ca. 13 Stunden lang zu lauschen. Eigentlich lese ich lieber als Bücher zu hören. Aber bei diesem leidenschaftlichen, mitreißenden und Zuversicht verbreitenden Buch fand ich das Hören toll! Hier ist der Link zu der kostenlosen Hörbuchversion.

 

Elif Shafak: Wider die Gleichgültigkeit.

Auch dieses Interview vom 13. März 2022 ist sehr Mut machend.

"Elif Shafak gilt als eine der wichtigsten literarischen Stimmen der Gegenwart. Auch ihre politischen Kommentare zur Türkei, zu Migration und zu Frauenrechten werden weltweit gehört. Barbara Bleisch spricht mit ihr über kollektive Amnesie, die Kraft der Natur und die Gefahr der Gleichgültigkeit." Hier ist der Link zu dem einstündigen Interview.

 

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Außerdem zwei weitere Empfehlungen:

 

Zur Unterzeichnung der Appell "Demokratie und Sozialstaat bewahren - keine Hochrüstung ins Grundgesetz!" der 

Initiator*innen Jan Dieren, (SPD, Mitglied des Deutschen Bundestags), Klaus Dörre, (Soziologe, Universität Jena), Julia Schramm, (Autorin und Mitglied des Bundesvorstands von Die Linke), Ingar Solty, (Referent für Außen-, Friedens- und Sicherheitspolitik des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung) und Andrea Ypsilanti, (SPD Mitglied, Sprecherin Institut Solidarische Moderne) mit aktuell über 41.000 Unterzeichner*innen.

 

Außerdem noch der Online-Vortrag des Konflikt- / Friedensforschers und Mediators Prof. Dr. Friedrich Glasl vom 24. März 2022 "Konfliktdynamik und Friedenschancen in der Ukraine". Auf vielfachen Wunsch hat Prof. Glasl nach dieser Veranstaltung die Kernsätze seiner Aussagen für Versöhnung, Abrüstung und Frieden in Form eines offenen Briefes formuliert: "Aufruf an verantwortungsbewusste Menschen in Politik und Zivilgesellschaft zum Beenden des Ukraine-Kriegs."